Augen in der Großstadt
Wenn du zur Arbeit gehst, am frühen Morgen . . .
Wenn du zur Arbeit gehst, am frühen Morgen
- wenn du am Bahnhof stehst,
- mit deinen Sorgen,
- da zeigt die Stadt
- dir asphaltglatt
- im Menschentrichter
- Millionen Gesichter :
- zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
- die Braue, die Pupillen, die Lider -
- was war das - vielleicht dein Lebensglück . . .
- vorbei, verweht, nie wieder.
- Du gehst dein Leben lang,
- auf tausend Straßen,
- du siehst auf deinem Gang,
- die dich vergaßen.
- Ein Auge winkt,
- die Seele klinkt,
- du hasts gefunden,
- wenn auch nur für Sekunden.
- zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
- die Braue, die Pupillen, die Lider -
- was war das - kein Mensch dreht die Zeit je zurück
- vorbei, verweht, nie wieder.
- Du musst auf deinem Gang
- durch Städte wandern;
- siehst einen Pulsschlag lang
- den Fremden andern.
- Es kann ein Freund sein,
- es kann ein Feind sein,
- es kann im Kampf dein
- Genosse sein
- Er sieht hinüber
- und zieht vorüber
- zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
- die Braue, die Pupillen, die Lider -
- was war das - von der großen Menschheit ein Stück
- vorbei, verweht, nie wieder.
Kurt Tucholsky